ÜBER KREATIVITÄT UND KUNST

ÜBER KREATIVITÄT UND KUNST

Kreativität ist im Grunde nicht mehr und nicht weniger, als die Grundlage unseres Seins. Das Leben an sich ist ein kreativer Akt, von der Sekunde unserer Entstehung an. Leider haben viele von uns das vergessen. Wir sehen uns selbst nicht als Kreierende und sprechen von künstlerisch tätigen Menschen voll Ehrfurcht und Bewunderung. Er oder sie sei ja so kreativ, sagen wir. Und vergessen dabei unsere eigene Quelle. Denn wir kreieren. Jeder von uns. Jeden Tag.

Eine Kreation ist am Ende eine verwirklichte Vision. Die Malerin hat ein Bild in ihrem Kopf oder Herzen, und überträgt dieses auf die Leinwand, wie der Musiker seine Noten aufs Papier. Ein Koch, eine Köchin ersinnt ein Rezept und kreiert daraus ein Gericht. Ob gut oder eher weniger gelungen, ist nicht die Frage. Kreation ist nicht gleich Perfektion! Ein entscheidender Unterschied.

Kreation wiederum in Verbindung mit Können, wird erst Kunst genannt. Wir erinnern uns an Karl Valentins Ausspruch, Kunst komme nicht von Wollen, sondern von Können, sonst hieße sie ja „Wunst“. Andererseits – wer bestimmt, was Kunst ist? Ist das Bild des Kindes keine Kunst, nur weil der Vorgang weniger bewusst abgelaufen ist? Weil es sich vielmehr hat leiten lassen, als seine Fähigkeiten darauf zu verwenden, das Bild aus seinem Kopf möglichst originalgetreu nachzuformen.

Es gibt die Geschichte, dass Pablo Picasso beim Besuch einer Kinderaustellung sagte: „Als ich so alt war wie diese Kinder, da konnte ich zeichnen wie Raffael. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich zeichnen konnte wie diese Kinder.“ Malen wie die Kinder, ein kreativer Prozess nicht geleitet vom Denken oder vorsätzlichen Einsetzen erlernter Fertigkeiten, sondern als reines Mitschwingen. Der inneren Stimme lauschen, diese feinen Hinweise fließen lassen – und neugierig beobachten, was daraus entsteht.

Kunst, die einem solchen Ort entspringt, betiteln wir gerne als „naiv“. Als wären Intellekt und Ausbildung, das intensive Analysieren und Verstehens des Vorgangs der einzige Maßstab für den Wert des Kunstwerkes. Wie wäre es, das tiefe Fühlen als wichtigste Maxime des künstlerischen Schaffensprozesses zu setzen? Eine absurde Vorstellung in unserer Welt. Wer zahlt schon für bloßes Gefühl? Man muss sich die Fähigkeiten hart erarbeitet haben, sonst fehlt ihnen der Wert. Ist das tatsächlich, worin sich Kreativität und Kunst unterscheiden? Jede*r ist kreativ. Aber nicht jede*r ist automatisch auch Künstler*in, richtig? Oder gibt es andere, möglicherweise interessantere Unterscheidungsmerkmale?

Kreation steckt in jeder Zelle. Wir sind Erschaffer*innen, Schöpfer*innen, Gestaltende. Jede neue Entscheidung, jede Veränderung, jedes Tun ist im Grunde kreativ, es sei denn, es bleibt bloße Repetition. Das Wiederholen des Immergleichen lässt uns in einer unendlichen Mühle aus bereits Vorhandenem festhängen, weshalb es Sinn macht, sich mit einem Umfeld zu umgeben, das uns herausfordert, immer wieder neu und anders zu denken und zu handeln.

Ein Problem ist, dass wir uns dieses beständigen Kreationsprozesses nur selten bewusst sind, weshalb wir munter Dinge und Ereignisse kreieren, die wir gar nicht wollen, indem wir beispielsweise einer Vision folgen, die von Angst geleitet ist, von Blockaden, Zorn oder Schlimmerem. Dadurch kreieren wir – alte Manifestationsregel – mehr davon.

In der bewusst gestalteten Kunst wiederum finden diese Emotionen ihren Platz, denn dort hat der Vorgang des Betrachtens, des Sezierens und Transformierens stattgefunden, und der Angst wird beispielsweise ein Gedanke über die Angst zur Seite gestellt. Die Vision ist hier nicht länger die Furcht selbst – oder deren Vermeidung (was uns wiederum mit dem Fokus bei ihr belässt) sondern ein Reflektieren dieser Emotion, das sodann in ein Werk übersetzt wird.

Hier liegt ein entscheidender Unterschied von Kunst und Kreation: Wir kreieren immerzu. In der Kunst kreieren wir bewusst, wodurch etwas entsteht, das jenseits des ursprünglichen Gedankens oder Gefühls einen Wert hat und in eine Form gegossen wurde. (Wobei selbstverständlich Vorsicht angebracht ist – Kunst, die einem zerstörerischen Gefühl entspringt und der nicht ein weiter Blick, sowie ein grundsätzlich offenes Herz zur Seite steht, kann die Negativität noch verstärken, indem sie diese in besagter Form zementiert.) Kunst ist ein Spiegel unserer Seele, so heißt es. Wir zeigen uns und werden sichtbar. Dabei gestalten wir das Kunstwerk unserer Vision folgend.

Von der Kunst lernen, jenseits aller Unterschiede, könnte also bedeuten, diesen Schaffensprozess auch auf unser restliches Leben anzuwenden: Bewusst zu kreieren, was wir erschaffen wollen.

Erst kommt der Traum – dann die Gestalt.

Kreation ist Leben. Lebendig sein heißt kreieren.

Lasst uns also ein Leben erschaffen, das wir uns erträumen.

Und am Ende – wer weiß – ist dieses Leben wohlmöglich auch: Ein Kunstwerk.