Texte

OKTOBERFEST BLUES

OKTOBERFEST BLUES

Früher war die Wies’n,

Weißt du noch, früher

Ohne Kontrolle, nirgends

Das war noch was

Und früher und früher

Und weißt du nicht mehr

Und küssen und küssen

Und Hände am Hintern

Und Billigfleisch duftet

Und Musik, auf den Tischen

Und alle zusammen

Und Grenzen verwischen,

Glück wogt und Liebe

Ein Fest für das Volk,

Wir alle das Volk,

Nur du nicht, ganz plötzlich

Die fake Lederhose

Und das Dirndl zu billig

Und ein paar Mal aufs Maul

Der Elefant fliegt

Kinderlachen und Jubeln

Mama nochmal

Es ist doch so schön

Und Rechnen im Kopf

Karussell oder Miete

Es ist halt so schön

Inflation AFD Depression Krieg und Sorge

Die Hände zum Himmel

Nur für einen Moment

Und das schönste der Dirndl

Und die fescheste Tracht

Und wir sind wer, noch immer

Tanzen laut auf dem Tisch

Oder darunter

Und die Heimat, die Heimat,

Brezn-Wolken weiß-blau

Und der Zweifler am Rande

Erlaubt den Exzess

Irgendwann dreht die Welt

Irgendwie hält sie an

Und alleine, verloren,

Kotzepfützen, Urin

Irgendwer knutscht immer

Nur nicht mit mir

Und das Riesenrad dreht sich

Und dreht sich und dreht

Und Taumler und Looping

Und sie hauen den Lukas

Und der Mann mit den Muskeln

Und viel Holz vor der Hüttn

Und alles bleibt gleich,

Alles dreht sich, noch immer

Die Welt vorneweg

 

SHEILA SAGT (aka. #NOAFD)

Sheila sagt, ich habe Angst.

Hab keine Angst, sagt die Lehrerin. Das ist nicht nötig.

Die Lehrerin hat die passende Haut, hat Geld, hat den richtigen Namen.

 

Sheila sagt, es werden immer mehr.

Nicht wirklich, sagen die Kinder. Schau uns doch an, wir sind so viele.

Die Kinder sind viele ohne Furcht und ein paar mit.

 

Lisa sagt ich auch, auf Englisch: Me, too.

Warum, fragt die Scham. Immer wieder, warum.

Lisa reicht ihr die Hand, jeden Tag, die Scham fühlt sich wohl bei ihr.

 

Murat fragt, seht ihr es nicht, da und da und da.

Betroffen nicken die Köpfe und sagen: Jetzt schon, ja. Solange du zeigst und erzählst.

Murats Finger ist müde vom Deuten.

 

Ezra ruft, ihr habt es erlebt. Habt ihr nichts und nichts gelernt?

Doch, doch, na klar, nie wieder sagen sie. Und: Ich war es nicht, natürlich, sowieso.

Ezra sieht die erhobenen Hände, die anderen daran vorbei.

 

Selim sagt, es ist mein Land irgendwie, nur bin ich nicht sicher.

Dein Land nun ja, irgendwie eben nur, ein anderes gäbe es auch, oder was?

Selim hat kein Land, niemand hat ein Land, nur Menschen an der Seite – oder nicht.

 

Sheila sagt, ich habe Angst.

Hab keine Angst, sagt der Gott auf dem Plakat. Angst ist eine Entscheidung.

Die Angst kommt, egal wie Sheila entscheidet, sie fließt in ihrem Blut.

 

Wir haben Angst, sagen sie, immer wieder und lauter. Und nicken und klatschen und Hülsen aus Worten, 1,99 das Stück und Hände zum Himmel und das Drehen der Furcht.

 

Wir haben Angst, sagen Max, Robert, Axel. Wir haben Angst, rufen Trudi und Steffi.

Du nimmst mir die Arbeit, mein Fleisch, meinen Sprache, mein Dies und mein Das und mein Land noch dazu.

Sie rücken zusammen, Seit‘ an Seite und aufrecht. Nicht Schuld, keine Scham, aber Recht im Gepäck.

Ja Recht, endlich Recht, jubeln die an dem Bordstein. Viel Recht und viel Macht und die Windmühlen-Furcht.

 

Sheila sagt wieder und wieder und wieder. Ich habe Angst. Und verstummt irgendwann.

 

Wann sprichst du?

#noafd

RAVI (Auszug aus dem Theaterstück “29”)

Ravi ist 8 Jahre alt, er arbeitet seit zwei Jahren auf einer Baumwollplantage. Die Arbeit ist hart, der Lohn niedrig, doch es ist Geld und die Familie braucht das Geld.

Vish, der Chef auf der Plantage ist böse, denn er lässt Ravi dort arbeiten!

Lali, Ravis Mutter hat Vish angefleht, dass er Ravi Arbeit gibt. Sie sich vor ihn gekniet und seine Füße berührt. Deshalb hat er Ravi genommen, obwohl sechs Jahre schon sehr jung waren und die Arbeit hart.

Lali ist böse, denn sie schickt ihren kleinen Sohn zum Arbeiten.

Lali hat sechs Kinder geboren, sie war immer arm, doch nie so, denn Ravis Vater Mohd ist krank. Mohds Lunge ist durch die Arbeit in der Färberei löchrig, das Haus aus Wellblech ist feucht, immerhin haben sie ein Dach. Deshalb hat Lali ihren Ravi, der stark ist, zum Arbeiten geschickt und sie weint jeden Morgen, wenn er losgeht, hinter ihrem Sari, damit es keiner sieht. Das Geld das Ravi bringt, hilft der Familie zu leben.

Also ist der Mann böse, der Ravis Vater in der Färberei arbeiten ließ, in den giftigen Dämpfen ohne Schutzkleidung.

Der Mann heißt Jamal und er hat gekämpft, um dort anzukommen, wo er heute ist. Jamals Eltern starben früh, an Tuberkulose, er lag auf einem Pappkarton am Straßenrand, bis er von einer Familie aufgenommen wurde, die kaum selbst genug zu essen hatte. Jamal war fleißig, er hat gelernt – vor allem zu kämpfen, um zu überleben. Weil er klein war, wurde er von anderen Jungs geschlagen, oft. Jamal hat sich durchgebissen. Erst hat auch er mit giftiger Farbe gearbeitet, dann wurde er befördert, weil er härter arbeitete und länger blieb als die anderen. Jamal hat eine Frau und drei Kinder, die es einmal besser haben sollen.

Nun wissen wir es: Der Vorarbeiter, der Jamal angestellt hat, der ist böse.

Der Vorarbeiter kennt Jamal als guten Arbeiter. Eigentlich gehört Jamal einer niedrigeren Kaste an, doch der Vorarbeiter hat ihm eine Chance gegeben. Er wollte etwas Gutes tun, auch wenn hundert andere für den Job Schlange standen.

Der Besitzer der Fabrik, der mit Menschen wie Jamal und Mohd Geld verdient, der ist böse.

Der Besitzer Sanjay wurde auserwählt, mit seiner kleinen Firma großes Geld zu verdienen, von einem Mann aus dem Westen. Der Mann aus dem Westen hat ihn gefragt: Kannst du es für weniger machen? Sanjay nickte, weil er den Auftrag brauchte, um den Angestellten Gehalt zu zahlen, um seine Kinder auf gute Schulen zu schicken, um sich einen Wagen zu kaufen, von dem er als Junge geträumt hat. Einen Wagen, wie ihn die Männer im Westen fahren und mit dem er die junge Frau, die ihn liebt, was keiner wissen darf, schon gar nicht die traurige Frau, die seine Eltern für ihn ausgesucht haben, zu einem Ausflug fahren kann.

Der Mann aus dem Westen heißt Carsten. Carsten mit dem Geldkoffer ist böse.

Carsten hat den Auftrag, das Geschäft auszulagern von seinem Chef bekommen, der ihn von seinem Chef bekommen, der ihn von seinem Chef bekommen hat.

Weil die Chefs Geld verdienen wollen und ihre Arbeit Möglichkeiten bot. Weil sie Träume hatten und Indien so weit weg ist. Weil ihnen zugesichert wurde, dass es schon okay ist, weil Ravi nickt und sagt es geht ihm gut, weil Mohd nickt und sagt es geht ihm gut und Jamal nickt und allen geht es gut.

Die Chefs hätten hinschauen müssen, sie sind böse.

Welcher Chef genau? Oder alle zusammen? Wer ist mehr böse? Und wenn sie schauen würden? Dann müssten sie sagen: So geht das nicht. Und verlangen, dass Ravi nicht auf dem Feld arbeitet und kein Geld verdient und seine Familie nicht unterstützen kann und Mohd damals keine giftige Arbeit bekommen hätte oder Schutzkleidung. Doch Schutzkleidung hätte Jamal nicht fordern können von Sanjay, denn da warteten hundert andere, die seinen Job gemacht hätten ohne Schutzkleidung.

Die Chefs hätten von Sanjay die Schutzkleidung fordern müssen. Sanjay hätte den Chefs gesagt: Dann werden die Stoffe teurer. Und die Chefs hätten in die Läden gehen und die T-Shirts teurer machen müssen und die Menschen wären in die anderen Läden gegangen, in denen sie nicht für Schutzkleidung am anderen Ende der Welt zahlen müssten. Und die Chefs hätten Verluste gemacht und am Ende Sanjays Fabrik schließen müssen und was wäre gewesen mit den Menschen in Indien?

Also sind die Menschen böse, die billige Sachen kaufen ohne nachzudenken, Helga zum Beispiel, die gerade ein rotes Kleid anprobiert, dessen Baumwolle Ravi gepflückt hat, dessen Farbe Mohd und seinen Kollegen die Lungenflügel durchlöchert hat.

Helga ist böse.

Helga hat heute Abend ein Date. Helga hatte lange kein Date mehr, seit sie verlassen wurde und alleine ist mit den Kindern und nicht weiß, wie sie das alles stemmen soll, besonders nicht den Alkohol, der ihr Trost spendet, aber natürlich ein Problem ist. Helga will schön aussehen, weil ein Date, das könnte bedeuten, dass Helga eine neue Chance bekommt auf ein anderes Leben. Helga hat kein Geld für ein Kleid, das Konto ist überzogen, der Jüngste braucht Fußballschuhe. Helga weiß, dass nebenan ein anderes rotes Kleid hängt, an dem ein Zettel baumelt mit Fair Trade Zeichen. Helgas weiß, dass es besser wäre, dieses Kleid zu kaufen, aber wenn sie das günstigere rote Kleid nimmt, kann sie ein hübsches Höschen dazulegen, dann könnte sie dem Mann gefallen.

Hah, sagt ihr, Helga vielleicht, aber was ist mit Tom und Lena und Anna, die gerade shoppen gehen, ohne Probleme und trotzdem nicht nebenan?

Sind Tom und Lena und Anna nicht böse?

Sie sammeln zwar Spenden und geben Geld auf der Straße, aber dann ignorieren sie das Fair Trade Schild. Dabei hat Anna schon zwei rote Kleider und Lena drei sogar.

Tom und Lena und Anna wollen gut aussehen. Sie wollen zeigen, dass sie jung sind und schön und weil jeder in ihrer Klasse jeden Tag neue Klamotten trägt und alle peinlich und Scheiße sind, die das nicht tun, machen sie mit. Sie trauen sich nicht, zu sagen: Ich brauche nicht so viel, weil sie dazu gehören wollen.

Was wissen Tom und Lena und Anna von Ravi, der so weit weg ist. Wenn sie eine Dokumentation im Fernsehen sehen, macht es sie traurig und sie schalten ab, oder unterschreiben eine Petition.

Aber wenn sie das teurere Kleid kaufen, wird dann der Kreislauf zurückdrehen, so dass Ravi in die Schule gehen kann? Oder ist doch irgendwo einer, der böse ist und der Schuld ist und deswegen bringt es nichts, mehr Geld auszugeben, weil das nur in der Tasche des Bösen verschwindet und Ravi bleibt wo er ist?

Das weiß keiner. Und weil es keiner weiß, macht Handeln wenig Sinn. Und deshalb bleibt alles wie es ist, das Böse ist schuld. Und alle haben verloren, irgendwie, nur Ravi, der ein bisschen mehr.

CARPE FUCKING DIEM

Erfolg, Visionen, Geld und Glück.

Wohin, woher,

Wann, wie, vor allem

Warum ich

Nicht?

Fußspuren hinterlassen

Stimme erheben

Sichtbar sein

Einfluss haben

Dienen, heilen, helfen.

Alles möglich, immer.

Die Welt wartet

Auf dein Sein.

Du musst nur

Wollen.

Disziplin, Weichheit,

Ausrichtung, Vertrauen,

Selbstliebe, ganz im Moment.

Versunken, Verbunden,

Dem Licht entgegen.

Wer willst du sein?

Wie kostest du Leben

Bis zuletzt?

Und Liebe,

Einzigartig selbstverständlich.

Kreativ, gesund,

Achtsam, radikal,

Exzessiv, bewusst,

Natur, Kultur,

Multiple Orgasmen.

Planetenrettung,

Geiles iPhone

Reisen bildet.

Das große Ganze,

Und all das Leid.

Mutter, Vater

Auf Augenhöhe,

Glasklar, wahrnehmend.

Nicht zu viel, nie

Niemals zu wenig.

Lover, Listener,

Gefährte, König,

Lonely Wolf, Sportlich,

Eloquent, Interessant

Mega heiß.

Goddess, Queen,

Super-Mom,

Sexy as hell.

Witzig-süß, schlau,

Easy going.

Den Tod vor Augen

Die Tage feiern

Endlichkeit fühlen

Unendlichkeit erkennen

Freiheit – Freude – Jetzt!

A LOVE LETTER

You better start listening to us!

Because we bleed.

Blood.

Every month.

So, don’t you dare telling us, we should keep our voices down.

To smile, when we want to scream.

To show our anger, our lust, our laughter just nice and easy.

Not be hysterical.

To soften our sobs with tissues.

Because sad women make you feel uneasy.

But guess what?

The women of this earth are sad.

And so freaking angry!

Because men are breaking into our mother, into the soil and take her fruits without care.

Men are handing our children weapons to kill other children.

Men are violating us – or sell us like a thing, every goddam day.

Men are making laws about our bodies.

Or telling us, which parts to better hide.

So we don’t tempt them, silly girls.

Well YES.

We are angry.

We are so fucking furious, we could explode!

But instead of shouting out our rage, we hold it.

We nag, we beg, we burn out.

And I swear you, we’ve known the fire.

But still, we burn.

And keep our voices low.

Because we are too afraid, you cannot take it.

That you will hurt us.

Or leave.

Ignore us.

Be offended like a little boy.

Well, stop playing small, because you’re scared of your own gender.

That’s not the way.

Fuck!

We want you to stand!

To take a stand.

Every time you hear a sexist joke.

When women are laughed at or shamed for feeding their child in public.

When you see that guy following that girl …

Go speak to him.

Teach him to honor women. All women.

To also honor his own sacred sexuality.

But to hold it.

To keep a clear head.

To be a man.

A father.

A brother.

Step out on the streets and fight alongside your sisters.

And don’t duck away, when they shout out their rage.

Show that you can take it and carry it with us.

And maybe more than all: Listen!

To our screams.

Our pain.

Our sadness and fury.

No comment.

No advice.

And only then, when we were finally able to share and be heard,

Then we can talk.

Then we can soften our voices.

And have to most amazing sex you could ever imagine.

So juicy.

So alive.

So true.

But not, until you witnessed and honored ALL our feelings.

Because we bleed.

And we won’t shut up.

EIN LETZTER TANZ AUF DEM VULKAN

Sie feiern den Sommer,

Wie ein Finale.

Treiben in zentimeterhohem Wasser

Vor einer Kulisse aus gelbem Gras.

Hitzerekorde, ultimativ

Und wir live dabei!

Der Sommer schmeckt

Nach verbrannten Beeren.

Unter Steinen dösen Eidechsen,

Sie spielen Griechenland.

Am Peloponnes verbringen wir

Bald den Frühling,

Oder fahren nach Norden.

Wir können es ja.

FREIHEIT

Wütende Frauen

Füllen die Straßen,

Die Angst

In ihren entschlossenen Augen.

 

Sie kennen sich,

Die Frauen, die Furcht.

Stehen Hand in Hand,

Ohne zu weichen.

 

Manch einer gibt sein Leben

Für die Freiheit

Der Mütter, Töchter, der Liebsten,

Der Schwestern.

 

Eine neue Zeit,

Sagen wir.

Und sitzen bewundernd

Auf unseren Sofas.

 

Die Wagschale kippt

Nach dort oder zurück,

Wo der Mut weicht

Der Gewalt.

 

Eine neue Zeit, vielleicht.

Wenn auch wir

Endlich begreifen,

Dass wir alle verbunden sind.

 

Keine Frau ist frei

Solange eine von ihnen

Gefangen ist.

So heißt es.

 

Freiheit ist

Eine Entscheidung.

Die einen treffen sie

Im Angesicht des Todes.

 

Die anderen, du, ich.

Entscheiden,

Ob alle gleich sein sollen,

Oder doch nur

Wir.

 

ÜBER KREATIVITÄT UND KUNST

Kreativität ist im Grunde nicht mehr und nicht weniger, als die Grundlage unseres Seins. Das Leben an sich ist ein kreativer Akt, von der Sekunde unserer Entstehung an. Leider haben viele von uns das vergessen. Wir sehen uns selbst nicht als Kreierende und sprechen von künstlerisch tätigen Menschen voll Ehrfurcht und Bewunderung. Er oder sie sei ja so kreativ, sagen wir. Und vergessen dabei unsere eigene Quelle. Denn wir kreieren. Jeder von uns. Jeden Tag.

Eine Kreation ist am Ende eine verwirklichte Vision. Die Malerin hat ein Bild in ihrem Kopf oder Herzen, und überträgt dieses auf die Leinwand, wie der Musiker seine Noten aufs Papier. Ein Koch, eine Köchin ersinnt ein Rezept und kreiert daraus ein Gericht. Ob gut oder eher weniger gelungen, ist nicht die Frage. Kreation ist nicht gleich Perfektion! Ein entscheidender Unterschied.

Kreation wiederum in Verbindung mit Können, wird erst Kunst genannt. Wir erinnern uns an Karl Valentins Ausspruch, Kunst komme nicht von Wollen, sondern von Können, sonst hieße sie ja „Wunst“. Andererseits – wer bestimmt, was Kunst ist? Ist das Bild des Kindes keine Kunst, nur weil der Vorgang weniger bewusst abgelaufen ist? Weil es sich vielmehr hat leiten lassen, als seine Fähigkeiten darauf zu verwenden, das Bild aus seinem Kopf möglichst originalgetreu nachzuformen.

Es gibt die Geschichte, dass Pablo Picasso beim Besuch einer Kinderaustellung sagte: „Als ich so alt war wie diese Kinder, da konnte ich zeichnen wie Raffael. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich zeichnen konnte wie diese Kinder.“ Malen wie die Kinder, ein kreativer Prozess nicht geleitet vom Denken oder vorsätzlichen Einsetzen erlernter Fertigkeiten, sondern als reines Mitschwingen. Der inneren Stimme lauschen, diese feinen Hinweise fließen lassen – und neugierig beobachten, was daraus entsteht.

Kunst, die einem solchen Ort entspringt, betiteln wir gerne als „naiv“. Als wären Intellekt und Ausbildung, das intensive Analysieren und Verstehens des Vorgangs der einzige Maßstab für den Wert des Kunstwerkes. Wie wäre es, das tiefe Fühlen als wichtigste Maxime des künstlerischen Schaffensprozesses zu setzen? Eine absurde Vorstellung in unserer Welt. Wer zahlt schon für bloßes Gefühl? Man muss sich die Fähigkeiten hart erarbeitet haben, sonst fehlt ihnen der Wert. Ist das tatsächlich, worin sich Kreativität und Kunst unterscheiden? Jede*r ist kreativ. Aber nicht jede*r ist automatisch auch Künstler*in, richtig? Oder gibt es andere, möglicherweise interessantere Unterscheidungsmerkmale?

Kreation steckt in jeder Zelle. Wir sind Erschaffer*innen, Schöpfer*innen, Gestaltende. Jede neue Entscheidung, jede Veränderung, jedes Tun ist im Grunde kreativ, es sei denn, es bleibt bloße Repetition. Das Wiederholen des Immergleichen lässt uns in einer unendlichen Mühle aus bereits Vorhandenem festhängen, weshalb es Sinn macht, sich mit einem Umfeld zu umgeben, das uns herausfordert, immer wieder neu und anders zu denken und zu handeln.

Ein Problem ist, dass wir uns dieses beständigen Kreationsprozesses nur selten bewusst sind, weshalb wir munter Dinge und Ereignisse kreieren, die wir gar nicht wollen, indem wir beispielsweise einer Vision folgen, die von Angst geleitet ist, von Blockaden, Zorn oder Schlimmerem. Dadurch kreieren wir – alte Manifestationsregel – mehr davon.

In der bewusst gestalteten Kunst wiederum finden diese Emotionen ihren Platz, denn dort hat der Vorgang des Betrachtens, des Sezierens und Transformierens stattgefunden, und der Angst wird beispielsweise ein Gedanke über die Angst zur Seite gestellt. Die Vision ist hier nicht länger die Furcht selbst – oder deren Vermeidung (was uns wiederum mit dem Fokus bei ihr belässt) sondern ein Reflektieren dieser Emotion, das sodann in ein Werk übersetzt wird.

Hier liegt ein entscheidender Unterschied von Kunst und Kreation: Wir kreieren immerzu. In der Kunst kreieren wir bewusst, wodurch etwas entsteht, das jenseits des ursprünglichen Gedankens oder Gefühls einen Wert hat und in eine Form gegossen wurde. (Wobei selbstverständlich Vorsicht angebracht ist – Kunst, die einem zerstörerischen Gefühl entspringt und der nicht ein weiter Blick, sowie ein grundsätzlich offenes Herz zur Seite steht, kann die Negativität noch verstärken, indem sie diese in besagter Form zementiert.) Kunst ist ein Spiegel unserer Seele, so heißt es. Wir zeigen uns und werden sichtbar. Dabei gestalten wir das Kunstwerk unserer Vision folgend.

Von der Kunst lernen, jenseits aller Unterschiede, könnte also bedeuten, diesen Schaffensprozess auch auf unser restliches Leben anzuwenden: Bewusst zu kreieren, was wir erschaffen wollen.

Erst kommt der Traum – dann die Gestalt.

Kreation ist Leben. Lebendig sein heißt kreieren.

Lasst uns also ein Leben erschaffen, das wir uns erträumen.

Und am Ende – wer weiß – ist dieses Leben wohlmöglich auch: Ein Kunstwerk.

 

 

 

 

WARTEN

Hoffen und bangen und träumen
und sehnen.

Verlieren, verzagen, vergessen
Verwehn.

Und ein Stück vor dem Möglich
Versinken, vergehn.

Weil Werden zu mühsam.
Aufgeben bekannt.

NACHT

Einst kaufte sie ein Haus
Es war nicht schön

Noch nicht
Doch voller Ideen.

Im Fundament aber
Lebten Alligatoren

Uralt
Und hungrig.

Und der Traum wurde
Last.

Wer will schon
Visionen

Voller Schatten
Und Reißzähne?